Handelspolitik. 1. Die H. und der Verkehr zwischen
Mutterland
und Kolonien. 2. Die H. der Kolonien. 3. Die H. von Kiautschou. Die H.
in Kolonien hat zwei Anwendungsgebiete: die Beeinflussung des Handels
zwischen Kolonie und Mutterland und die der wirtschaftlichen Entwicklung
der Kolonie selbst durch die Mittel der Handelspolitik. 1. Die
Handelspolitik
und der Verkehr zwischen Mutterland und Kolonie. Die Kolonialpolitik der
europäischen Völker war bis zur Mitte des 19. Jahrh. von der Absicht
beherrscht,
die Kolonien zu zwingen, ihren Bedarf an fremden Waren im Mutterlande
zu decken und dieses zum ausschließlichen Markt für die Erzeugnisse der
Kolonie zu machen. Diese als "Kolonialsystem" (pacte colonial) bezeichnete
Politik ließ sich seit dem Revolutionszeitalter nicht mehr rein
durchführen
und bestand nun in einem System gegenseitiger Begünstigungen im Verkehr
zwischen Kolonie und Mutterland. Mit dem Aufkommen einer
freieren
H. drängten die Interessenten in den Kolonien auf die Beseitigung dieser
H., um ihren Bedarf auf dem billigsten Markte decken und für ihre
Ausfuhr
die besten Märkte aufsuchen zu können. Diese Bestrebungen hatten zuerst
Erfolg im englischen Kolonialreiche, wo von 1846-1860 alle
Begünstigungen
der Waren und der Flagge aufgehoben wurden, und die übrigen
Kolonialmächte,
vor allem die Niederlande und Frankreich, folgten diesem Beispiele. Die
Neubelebung schutzzöllnerischer Vorstellungen und Bestrebungen, die mit
der Mitte der 70er Jahre einsetzte, hat aber auch den Gedanken der
Begünstigung
des Verkehrs zwischen Mutterland und Kolonie wieder aufleben lassen.
Allerdings
ist es nicht richtig, wenn oft behauptet wird, daß solche
Handelsbegünstigungen
heute wieder allgemein eingeführt seien. Das niederländische
Kolonialreich
kennt sie nicht, und im britischen besteht nur eine Begünstigung der
Einfuhr
aus England in den vier großen, sich selbst verwaltenden Dominions (1898-1907 eingeführt), nicht aber in
den übrigen Besitzungen und nicht in Großbritannien selbst. Die darauf
zielenden Bestrebungen sind von ihren bisherigen Befürwortern zunächst
wieder ganz aufgegeben. Begünstigung oder ganz zollfreier Verkehr
besteht
dagegen fast in allen französischen Besitzungen, in denen der
Vereinigten
Staaten und Portugals. Im Hinblick darauf ist die Einführung der
Begünstigung
auch für den Handel Deutschlands mit seinen Schutzgebieten
vereinzelt
gefordert worden. Im deutschen Kolonialreich bestehen gesetzliche
Begünstigungen
nicht, weder bei der deutschen Einfuhr in die Schutzgebiete, noch bei deren Einfuhr in
Deutschland.
Sie wird beiderseits nicht anders behandelt, als jede andere Einfuhr,
die koloniale Einfuhr in Deutschland auf dem Fuße der meistbegünstigten
Nation (Bundesratsbeschluß vom 2. Juni 1893; Zolltarifgesetz vom 24.
Dez.
1902; s. Zölle und
Zolltarife). - Eine Begünstigung der deutschen Einfuhr
in die Schutzgebiete ist aus völkerrechtlichen Gründen unzulässig in den
Gebieten, welche in die Freihandelszone
der Kongoakte Fallen. Das ist die Südostecke von Alt-
Kamerun
und ein großer Teil von Neu-Kamerun. Ferner ganz Deutsch-Ostafrika.
Ferner
ist für die Schutzgebiete im westlichen Stillen Ozean durch das deutsch-
englische
Abkommen von 1886, für Samoa durch das Samoa-Abkommen von 1898 eine
Zollbegünstigung
ausgeschlossen. Also gerade in den Schutzgebieten, in denen der deutsche
Anteil verhältnismäßig gering ist, kann die deutsche Einfuhr nicht
begünstigt
werden. Aber auch in den übrigen deutschen Kolonien
bestehen erhebliche Bedenken gegen die Zollbegünstigung der Einfuhr. An
sich ist, abgesehen von Deutsch-
Neuguinea,
der deutsche Anteil an der Einfuhr auch jetzt relativ hoch, mindestens
so hoch, wie der Anteil des Mutterlandes in benachbarten Kolonien. Von
dem Teil der Einfuhr, der nicht aus Deutschland kommt, kann dieser einen
großen Anteil entweder überhaupt nicht decken oder der Zwang, diese
Waren
aus Deutschland zu beziehen, würde für die Kolonisten eine große
Verteuerung
bedeuten. Die Summen, die der deutschen Einfuhr zugewendet werden
könnten,
würden auf alle Fälle nur gering sein, wie auch die Erfahrungen in den
heute begünstigenden Kolonien anderer Länder zeigen, soweit es sich
nicht
um das Mutterland unmittelbar benachbarter Besitzungen handelt. Gegen
den Vorschlag der Begünstigung der Einfuhr in die Kolonien spricht auch
die Erwägung, daß wir gar kein Interesse daran haben, die Tendenz zur
Ausdehnung der Begünstigung in anderen Staaten zu fördern, denn unsere
Ausfuhr nach fremden Kolonien ist viel größer als die nach unseren
Schutzgebieten,
und sie ist in starker Zunahme begriffen. Sie betrug 1898 182 Mill. M,
1912 500 Mill. M, gegen 51 Mill. M nach den deutschen Schutzgebieten.
- Eine Begünstigung der Einfuhr aus den Schutzgebieten nach Deutschland
ist für den größten Teil der Kolonialausfuhr gegenstandslos, da diese
ganz überwiegend aus in Deutschland zollfreien Rohstoffen besteht. Von
Belang wäre bisher nur der deutsche Zoll auf Kaffee,
Kakao, Mais, Wachs und
Palmöl. Nur bei den beiden
erstgenannten
Waren ist der Zoll von Bedeutung (60 und 20M für den Doppelzentner). Für
den deutschen Verbraucher würde der Zollerlaß bedeutungslos, für die
Pflanzer
eine große Unterstützung sein. Wichtiger könnte einmal eine
Erleichterung
der Zölle oder der veterinärpolizeilichen Vorschriften für die Einfuhr
von Fleisch für die südwestafrikanische Viehzucht
werden. 2. Die Handelspolitik der Kolonien. In älteren Siedlungskolonien wie in entsprechenden
Neuländern tritt leicht eine Umbildung der ursprünglich nur
Finanzzwecken
dienenden Zölle zu Schutzzöllen ein, um die Produktionsinteressen der
Kolonistenbevölkerung zu fördern. In anderen Kolonien wird das
regelmäßig
nicht geschehen. In den deutschen Schutzgebieten hat die Zollpolitik im allgemeinen nur finanzielle
Zwecke.
Immerhin sind die Zolltarife nicht
unbeeinflußt von produktionspolitischen Erwägungen. So werden von
Eingangszöllen
Waren, die als Hilfsmittel der Produktion dienen, wie Maschinen,
landwirtschaftliche
Geräte u. dgl. regelmäßig freigelassen (s. Zölle und Zolltarife). Das kann sich
sogar auf die der Ernährung der Plantagenarbeiter dienenden Waren, wie
Reis und Fische,
beziehen.
Eingangszölle, die zunächst nur als Finanzzölle
gedacht sind, können als Schutzzölle
wirken, wenn sie auf Waren gelegt sind, die auch in der Kolonie erzeugt
werden können, wie Reis, Tabak u. dgl. Selbst Industrien, wie Bierbrauerei (Deutsch-Ostafrika)
oder Seifensiederei (Kamerun) oder
Sägerei,
können so in den Genuß eines Schutzzolles kommen. Auch bei den
Ausfuhrzöllen
können wir solche Ansätze finden; Förderung der Ausfuhr durch Freilassung
des Plantagengummis, Hemmung der Ausfuhr durch Auflegung von Zöllen auf
Sisalpflanzgut in Deutsch-Ostafrika, auf weibliches Vieh in Deutsch-Südwestafrika. -
Charakteristisch
ist, daß überhaupt in dieser deutschen Siedlungskolonie der Zolltarif
schutzzöllnerischen Charakter trägt. Schon die hohen Finanzzölle auf
Tabak,
Bier und Branntwein haben so gewirkt, die letzteren so
sehr, daß die Einführung einer mäßigen Bier- und Branntweinsteuer (s.d.) erfolgen mußte,
um die Einnahmen etwas zu schützen. Die 1908 neu eingeführten Zölle auf
Schlachtvieh, Fleisch und Butter sind ausgesprochene Schutzzölle, die freilich
bei stark wachsender Inlandsproduktion die Preise nicht dauernd
hochhalten
können. - Auf anderem Gebiete liegen Maßregeln, welche die Qualität und
damit das Preisniveau von Ausfuhrwaren sichern sollen. Besonders bei
Waren,
die von vielen kleinen Produzenten geliefert werden, besteht die Gefahr,
daß durch mangelhafte Aufbereitung oder gar durch Verfälschung, Zusatz
von wertlosen Stoffen u. dgl. die Ware diskreditiert wird. Daher, wie
bei uns in älteren Zeiten, zahlreiche Vorschriften über die Qualität und
Zubereitung von Waren, die von kleinen Produzenten, d. h. wesentlich von
Eingeborenen geliefert werden, so von Kopra,
von Palmkernen, Baumwolle, Kautschuk usw. In solchen Fällen kann eine
regelmäßige
Warenschau und Beglaubigung wünschenswert sein. Aus Gründen der
Teuerungspolitik
sind früher Ausfuhrverbote für
Mais (Togo), für Rindvieh
(Deutsch-Ostafrika) vorgekommen. Aus Gründen des Seuchenschutzes wurden
Einfuhrverbote für Klauenvieh erlassen. Schließlich hängen alle
Maßregeln
wirtschaftlicher Produktions- und Verkehrspolitik gerade in Kolonien
irgendwie
mit der Handelspolitik zusammen, da für diese der Außenverkehr von so
ganz besonderer Bedeutung ist. 3. Die Handelspolitik von Kiautschou. Für
koloniale Handelsplätze, namentlich, wenn sie ein selbständiges
Produktionsgebiet
nicht bilden, kann empfehlenswert sein, von der Erhebung von Zöllen ganz
abzusehen, um sie als Umschlags- und Durchfuhrplätze möglichst zu
fördern.
Solche Freihäfen sind z. B. Dakar in Französisch-Westafrika und
Hongkong.
Nach dessen Vorbilde wurde Tsingtau zunächst zum Freihafen erklärt. Und zwar
stand er über sein Vorbild hinaus in freiem Verkehr nicht bloß mit
fremden
Gebieten, sondern sogar mit dem chinesischen Hinterlande. Alle Zufuhr
nach Tsingtau war zollfrei; von See eingegangene Ware, die ins Hinterland
weiterging, zahlte Zoll erst bei der Weiterbeförderung dahin. Die
Abfertigung
des Verkehrs mit China erfolgte durch ein chinesisches Seezollamt, das
in Tsingtau selbst seinen Sitz hat, wie das auch in Hongkong der Fall
ist. Aus finanziellen Gründen ist diese Einrichtung seit dem 1. Jan.
1906
aufgegeben und das Schutzgebiet Kiautschou in eine Art Zollverein mit
China eingetreten. Mit Ausnahme eines Freibezirkes im Hafen
gehört das Schutzgebiet zum chinesischen Zollgebiet, so daß der Verkehr
mit dem Hinterlande frei ist, im Verkehr seewärts die chinesischen
Einfuhr-,
Ausfuhr- und Durchgangszölle gezahlt werden. Dafür erhält das
Schutzgebiet
20% der vom chinesischen Zollamt erhobenen Eingangszölle (s.a.
Kiautschou
15). Es sei hier daran erinnert, daß auch in Sansibar,
das 1890 zum Freihafen erklärt war, aus Finanzgründen 1899 allgemeine
Einfuhrzölle eingeführt und 1908 erhöht
worden
sind.
Literatur: E. Trescher, Vorzugszölle
1908. K. Rathgen, Die Zollbegünstigung
des Handels zwischen Deutschland und seinen Kolonien. Verhandlgn. des
D. Kolonialkongresses 1910, S. 1049 ff.
Rathgen.
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